Nach einem gemütlichen Frühstück, bei dem ich mich auch wieder ans Obst wagte, trafen wir uns mit Willy, einem Aymara-Schamanen, in der Hotel-Lobby. Willy sollte mit uns auf den Cerro Atoja gehen und dort für uns eine traditionelle Zeremonie abhalten.
Ich muss ja zugeben, dass ich mir einen Schamanen doch irgendwie - anders - vorgestellt hatte. Willy war jung, trug Jeans, Joggingschuhe, einen dunklen Hoodie, eine Sonnenbrille, hatte einen kleinen Rucksack und eine Plastiktüte dabei und sah ganz entschieden total normal aus. Kein weißer Bart, keine wilde Flechtfrisur, kein bunter Deckenmantel, nix.
Wir nahmen unseren Bus und fuhren am Titicacasee entlang nach Westen bis nach Chucuito. Dort stiegen wir am Dorfplatz aus und bereiteten uns auf die 500 Höhenmeter des Cerro Atoja vor. Simon und Richie hatten beide ihre nagelneuen Expeditionsstiefel dabei, die sie dort testen wollten. Wir anderen gingen mit Trekkingstiefeln oder Halbschuhen los. Der Höhenanpassung wegen gingen wir betont langsam.
Das Wetter war prima und wir hatten wunderbare Aussicht über den Titicacasee und das Altiplano, die umso schöner wurde je höher wir kamen. Natürlich ist das Altiplano nicht so flach, wie es klingt (der Cerro Atoja hat ja auch 500 Höhenmeter), aber schon nach dem halben Aufstieg sah es wirklich so aus, als ob rundrum alles platt sei.
Mir war das Frühstück dann noch nicht so gut bekommen, wie ich gedacht hatte und ich musste immer wieder Bauchweh-Wellen bekämpfen. Kurz vorm Gipfel half dann alles nix und ich musste mich in die nicht-vorhandenen Büsche schlagen. Immerhin ging es mir danach besser.
Willy, der ja keine Höhenanpassung brauchte, war am Ende voran gesaust und war schon dabei die Zeremonie am Gipfel vorzubereiten. Als wir uns dem Gipfel näherten, fiel uns als erstes auf, wie vermüllt der gesamte Gipfelaufbau war. Überall lagen Flaschen, Glas, Plastik, Tüten, Papier und sonstiger Dreck herum. Am allerschlimmsten war es direkt unter dem großen Stein, vor dem Willy gerade sorgfältig allerlei Dinge aufbaute.
Er entfaltete ein schön gewebtes buntes Tuch, platzierte ein Kruzifix am oberen Ende und drapierte allerlei Esswaren (Süßigkeiten, Obst, Brot), 2 Flaschen, ein Kännchen mit Wein und eine Ladung Kokablätter sorgfältig und ordentlich darauf. Hinter sich stellte er eine Feuerschale und ließ wohlriechendes Holz schwelen. Während Willy noch aufbaute, erklärte Richie ein wenig Hintergrund zur Zeremonie. Ich habe so gut wie alles vergessen, aber hängen geblieben ist: All der 'Müll' am Gipfel sind Reste früherer Zeremonien. Die Flaschen und das Essen und all der Rest waren Opfergaben und sind deswegen per Definition kein Müll.
Dann wurde es kompliziert. Willy hielt die Zeremonie auf Aymara, erklärte Richie zwischendurch auf Spanisch, was er gerade machte, und Richie übersetzte das dann für uns auf Deutsch. Zeremonien kann man für alles Mögliche abhalten, Geld, Liebe, Erfolg im Beruf, was auch immer. Unsere sollte einfach nur generell Glück und Erfolg bringen. Und bei so einer Zeremonie werden alle Anwesenden beteiligt.
Am Anfang bekamen wir alle eine Kerze und wurden instruiert, die in der Jacke nahe an unserem Herzen aufzubewahren. Während der Zeremonie, in der Willy abwechselnd Pachamama und 'Old Man Mountain' (repräsentiert durch den großen Stein, mit den beiden 'Augen' am Gipfel) Schnaps, Wein und Süßkram gab und sie irgendwie um Beistand bat, mussten wir immer wieder irgendwas machen.
Zunächst suchten wir jeder 6 möglichst perfekte Kokablätter aus und platzierten sie in eine Papierschale, in die Willy anfangs schon ein paar Zuckerblümchen gelegt hatte. Darauf kamen noch gelbe Papierschnipsel. Diese Papierschale wurde dann mitsamt der Kokablätter verbrannt. Mit den Kerzen strichen wir uns alle die 'schlechte Energie' vom Körper und zündeten die Kerzen dann an. 'Old Man Mountain' wurde von jedem von uns mit dem Opferobst und Luftschlangen bedacht und wir zündeten jeder 3 Zigaretten an und steckten sie in Löcher an 'Old Man Mountain', damit er sie rauchen konnte. Schließlich schwenkte noch jeder die Feuerschale 3 Mal vor 'Old Man Mountain' im Kreis herum (der Ralle war der Letzte und musste das aus irgendeinem Grund 9 Mal machen) und am Ende umarmten wir uns alle einmal und wünschten uns Glück (also jeder jedem). Irgendwann zwischendurch las Willy die restlichen Kokablätter und sagt uns viel Erfolg und ein kleines Problem voraus.
Dann war die Zeremonie beendet.
Wir stiegen wieder nach Chucuito ab und fuhren zurück nach Puno, wo wir den Nachmittag frei hatten. Ralle und ich hatten harte Arbeit vor uns: Briefmarken für unsere Postkarten kaufen, die wir schon seit Cusco mit uns herum trugen. Zwar priesen überall Geschäfte an, dass sie Briefmarken hätten, aber bisher war das immer glatt gelogen gewesen. Jetzt suchten wir die Post, um da welche zu kaufen.
Die Post war auch nicht weit weg, allerdings erwartete uns da ein rechter Schock. Denn Postkarten kosten fast nichts, Briefmarken dagegen sind reichlich teuer. Und die Briefmarken sind so groß, dass Ralle zwei seiner Karten neu schreiben musste, weil er allen freien Platz vollgeschrieben hatte. Aber für eine Briefmarke bekommt man 8 Postkarten, das lohnt sich dann schon ;-)
An diesem Abend gingen wir in ein anderes Touri-Restaurant zum Abendessen, das 'Balcones de Puno' hieß. In dem gab es neben dem Essen auch ein paar Show-Einlagen, wo ein kleiner Trupp Tänzer (vermutlich) traditionelle Tänze der Indígenas aufführte. Wie sehr traditionell das nun wirklich war, kann ich schwer beurteilen, aber ich habe ein paar Zweifel, ob traditionell die Damen so leichtbekleidet getanzt hätten. Das ist aber egal, die Truppe machte das sehr schön und es war gute Unterhaltung.