Geschreibsel

 

2 Tage im Eis, Teil 2

Wildspitze

Freitag, 26. 09. 1997

Um 5.30h geht der Wecker runter. Rasch packen wir unser Zeug zusammen und begeben uns nach den üblichen morgendlichen Verrichtungen (Brrrr, eiskaltes Wasser!) runter in den DAV/ÖAV Raum, wo uns der Wirt das Frühstück hergerichtet hat.

Gegen 6.45 Uhr kommen wir los. Zunächst überqueren wir den unteren Teil des Hängenden Ferners, auf dem Weg, wo alle rüber gehen. Der ist sehr gut mit roten Dreifüßen markiert. Danach halten wir uns dann aber nach links, um oberhalb des markierten Wegs die Abkürzung zu gehen, die uns der Wirt empfohlen hat.

Am Rand des Mittelbergferners legen wir unser Gerödel an, lassen aber die Steigeisen erst mal weg. Ohne läuft es sich einfach besser. Erst mal halten wir uns links und wollen dann geradeaus über den Gletscher gehen. Obwohl wir hin und wieder eine Markierung finden (eine lange Holzstange oder ein rotes Schild, alles flach auf dem Gletscher), müssen wir in der Mitte des aperen Gletschers immer wieder um eine Spalte herum laufen.

Zunächst denken wir, wir sind vielleicht falsch gelaufen, denn der Wirt hat nichts von Spalten gesagt. Aber die vereinzelten Pfosten lassen darauf schließen, daß wir doch richtig sind und so werden wir immer mutiger und steigen auch mal über Spalten drüber. Immerhin laufen wir auf (fast) blankem Eis und so sollten die Spaltenränder eigentlich halten. Trotzdem ist es am Anfang ein mulmiges Gefühl.

Wir erreichen ohne Probleme die Mittelmoräne, die sich vor dem Rechten Fernerkogel gebildet hat (wo wir unsere Eis-Ausbildung mit dem DAV gemacht haben). Hier einigen wir uns erst mal auf den Weg, den wir von hier zum Mittelbergjoch nehmen müssen. Erst mal direkt den ersten Berg hoch und dann leicht rechtslich, das kleine Firnfeld querend zwischen zwei Spaltengebieten durch und dann einfach geradeaus zum Joch.

Auf dem Weg zum Mittelbergjoch finden wir sogar zwei Wegemarkierungen (und Müll), die uns durch das Spaltengebiet leiten. Der weitere Weg zum Joch scheint unendlich weit. Das liegt hauptsächlich daran, daß der Gletscher bis dorthin nicht schön und vor allem langweilig ist.

Ich lege das Seil über Ralles Rucksack und laufe direkt hinter ihm. So können wir uns wenigstens unterhalten. Sonst mußten wir uns nämlich immer anbrüllen, weil wir ja etwa 15 Meter auseinander laufen müssen, wenn wir am Seil gehen und die vereiste Gletscheroberfläche macht bei jedem Schritt einen Höllenlärm. Immerhin laufen wir nach einer Weile auf einer festen Firndecke.

Als wir am Mittelbergjoch ankommen und den ersten Blick rüber auf den Taschachferner und die Wildspitze dahinter werfen können, geht uns das Herz auf! Die verschneite weiße Wildspitze mit den wilden Eisabrüchen des Taschachferners sieht vor dem tiefblauen Himmel wunderschön aus. Wir können den Weg bis auf die Schulter erkennen, bei der die letzte Steigung zum Gipfel der Wildspitze beginnt.

Nach einigen Fotos und etwas zum Trinken machen wir uns an die 70 Meter Abstieg zum Taschachferner. Wir gehen immer noch dicht hintereinander mit dem Seil über Ralles Rucksack. Sobald wir auf dem Ferner ankommen, wickeln wir das Seil wieder ab und laufen schulbuchmäßig 15 Meter hintereinander her. Wir gehen in einem großen Bogen oberhalb des wilden Abruchs des Taschachferners herum, doch auch hier hat es Spalten. Der Schnee ist so fest, daß wir uns keine Sorgen machen. Manchmal können wir in eine Spalte gucken und stellen fest, daß die fast alle unten auseinander gehen, was bei den Spalten vom Mittelbergferner, über die wir gestiegen sind, nicht der Fall war.

In Erinnerung an gestern, bitte ich Ralle, sehr langsam zu gehen. Ich hoffe, so den Aufstieg besser bewältigen zu können. Ich habe schon wieder leicht Kopfweh. Als eine Seilschaft (drei Leute) hinter uns auftaucht, lassen wir die gleich vorbei. Die laufen hier ohne Seil. Scheint mir nicht allzu schlau, aber das ist deren Sache.

Vor dem Steilabschnitt legen wir die Steigeisen an. Man muß es sich ja nicht schwerer machen, als unbedingt nötig und daß der Schnee sehr hart gefroren ist, wissen wir ja auch schon. Wenn man der Dreierseilschaft so zuschaut, wie die sich ohne Steigeisen den steilen Weg hochquälen, dann war das ganz schön gewieft von uns.

Der Aufstieg hier ist wirklich supersteil und anstrengend. In der Mitte müssen wir eine riesige Spalte queren, die weiter hinten ziemlich weit auseinander klafft. Da will ich nicht reinfallen!! Als wir dann endlich in flacheres Gebiet kommen, bin ich schon wieder ziemlich fertig.

Vor uns können wir den nächsten steilen Hang sehen und dann links davon eine Spitze, die ich zunächst für die Wildspitze halte (Oh nein, so weit noch!). So etwa in Hälfte des Aufstieges stelle ich fest, daß die Wildspitze vor uns liegt und noch höher ist, als die Spitze, die inzwischen rechts von uns ist (Au Weia! Das schaff' ich nie!).

Ich quäle mich im Schneckentempo den steilen Hang hoch, immer wieder von Ralle angefeuert (Du schaffst das schon! Da oben wird's dann flacher. Und denk' nur, jeder Schritt ist ein neuer Höhenrekord!). Wäre ich nicht so kaputt, müßte ich herzlich lachen.

Erst mal wird's tatsächlich flacher und uns kommen schon die ersten Absteiger entgegen. Direkt vor uns können wir die allerletzte Steilstufe sehen, die es ganz schön in sich hat. Ich schleppe mich Schritt für Schritt nach oben. Ralle ist schon ganz verzweifelt, weil ich so langsam bin, aber es ist sooo schwer. Ich komme mir vor, als stiege ich einem Sechstausender entgegen.

Hier ist es nicht leicht zu gehen, weil der Aufstieg so vereist ist (gute Steigeisen!!). Das letzte Stück besteht aus einer kleinen Felskletterei (2er Gelände) und danach sind es nur noch ein paar Meter und wir stehen mittags um 12.30h auf dem bei weitem höchsten Berg, den wir jemals bestiegen haben! Yeah!

Nachdem ich mich verschnauft habe, kann auch ich den gigantischen Ausblick genießen. Von keiner Wolke oder Dunst getrübt, erstrecken sich Berge von Horizont zu Horizont in jeder Himmelsrichtung. Wir sind, völlig ungewohnt, viel höher als alle Berge um uns herum und so wird die tolle Aussicht von keinem anderen Berg getrübt.

Nach uns kommen drei (!!) Seilschaften mit Bergführern hier oben an, so daß der kleine Gipfel bald völlig überfüllt ist. Die Erklärung der Berge des einen Bergführers ist zwar sehr interessant, aber trotzdem wäre uns ein bißchen mehr Ruhe lieber gewesen.

Wir verzichten darauf, hier Brotzeit zu machen (man kann sich ja nicht mal richtig hinsetzen) und steigen gleich wieder ab. Wir beschließen, uns in dem ersten steilen und eisigen Abstieg nicht anzuseilen und den Pickel anstelle der Stöcke zu nehmen. Wenn nämlich einer ausrutscht, dann rutscht im Allgemeinen die ganze Seilschaft den Berg runter, haben wir gelernt.

Wir kommen problemlos das steile Stück runter und seilen uns unten in dem flacheren Stück wieder an. Dann machen wir uns an den restlichen Abstieg. Wir machen viele Fotos von der fantastischen Eislandschaft, für die uns (naja, mir jedenfalls) bei dem anstrengenden Aufstieg ein wenig der Blick gefehlt hat. Einzig der Rückweg über den oberen Taschachferner ist ein bißchen anstrengend, denn wir rutschen in dem inzwischen sulzigen Schnee immer wieder mal aus.

Der Aufstieg zum Mittelbergjoch ist zwar nicht weit, aber ziemlich stressig. Mir fehlt etwas zum Trinken und gegessen habe ich auch seit Ewigkeiten nichts mehr. Ralle guckt ganz mitleidig, wie ich mich die 70 Meter hochschleppe.

Endlich Pause! Inzwischen ist es schon 14.45h und wir haben also seit guten 7 Stunden nichts mehr gegessen (außer einem Müsli-Riegel) und wir sind zwischendrin auf einen fast 4000 Meter hohen Berg gestiegen. Kein Wunder, daß ich ein bißchen erschöpft bin. Allerdings verweigert mein Körper jetzt die Nahrungsaufnahme. Ich kann grade mal einen Semmel mit einer Scheibe Schinken runterzwingen (und viel trinken).

Kurz nach drei gehen wir weiter. Wir hoffen, um 17.00h an der Braunschweiger Hütte sein zu können. Da hätten wir dann etwa eine Stunde Rast, denn um spätestens 18.00h sollten wir uns dann auf den Weg zum Pitztaler Jöchl machen, damit wir noch im Tageslicht beim Auto ankommen. Jetzt geht es aber erst mal über diesen elend langweiligen Gletscher runter.

Wir stellen fest, daß der Hochweg deutlich leichter war. Inzwischen ist nämlich die Oberfläche des Gletschers angetaut, so daß wir immer wieder mal ein Stück in die vom Wasser zerfressene Oberfläche einbrechen. Das Wasser fließt gemeinerweise unter einer dünnen Eisschicht über den Gletscher, so daß wir manchmal in kleine Wasserlöcher treten. Auch sind die Spalten von oben her deutlich schwerer zu queren, da hier der Schritt nach unten erfolgt. Wir sind froh, als wir nach einigen Orientierungsschwierigkeiten wohlbehalten auf dem kleinen Firnfeld zwischen den Spaltengebieten landen.

Der weitere Abstieg zur Mittelmoräne ist ein bißchen schwierig, weil es dort teilweise Blank-Eis hat. Wir sind zu faul, die Steigeisen anzuschnallen (schließlich brauchen wir sie nachher nicht mehr), können aber einen geschickten Weg um die blanken Stellen herum finden.

Inzwischen sind wir nicht mehr so ängstlich wie heute morgen und steigen beherzt über alle möglichen Spalten drüber. Wir stellen fest, daß wir heute morgen gar nicht allzu verkehrt waren, denn wir finden lauter Markierungspfosten und laufen nicht allzu weit von dem Weg entfernt, den wir heute morgen genommen haben. So gelangen wir problemlos an die Stelle, an der wir morgens den Gletscher betreten haben.

Wir packen unser ganzes Gerödel wieder in den Rucksack (Wieso geht das Zeug hinterher so schwer rein, wo es vorher doch auch da drin war???) und machen uns dann auf den beschwerlichen Rückweg zur Hütte. Wir sind den ganzen Tag soviel auf Eis und Schnee gelaufen, daß wir die ersten Meter auf Gestein erst mal umher torkeln, als wären wir betrunken. Doch wir laufen uns schnell wieder ein. Um 17.30h können wir uns auf der Terrasse der Hütte zwei (Jeder! Wir haben unheimlich Durst) Radler gönnen.

Der Hüttenwirt scheint erfreut zu sein, daß es uns so gut in 'seinen' Bergen gefallen hat. Wir halten uns aber nicht lange auf und machen uns gegen 18.00h auf zum letzten Anstieg dieses Tages. Den Weg von der Braunschweiger Hütte zum Pitztaler Jöchl habe ich mir heute schon ein paar mal angeschaut (Au Weia! So weit!!) und immer wieder mit dem Gedanken gespielt, doch noch mal in der Hütte zu übernachten (so ein Blödsinn, wegen der 1 1/2 Stunden).

Schließlich haben wir auch diese letzte Hürde geschafft und werfen einen letzten Blick auf diesen 'unseren' Berg, die Wildspitze. Dann machen wir uns an den Abstieg und kommen gegen Viertel nach sieben beim Sunny an.

Endlich aus den Schuhen raus! Welche Wohltat! Ich habe wenigstens zwei Stellen, wo die Haut wundgescheuert ist und Ralle hat sich fast die Zehen gebrochen mit seinen schweren Schuhen. Die Turnschuhe fühlen sich an, als schwebe man.

So 'n toller Tag!!!

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